Sonntag, 2. November 2008

Exkurs: Charismatische Messe - Christus, der Rockstar der Armen und Alten

Am Freitag haben mich Silvia und David (ein anderer Jugendlicher aus der Gemeinde) in eine Charismatische Messe eingeladen - ich hatte allerdings geäußert sowas auf jeden Fall mal genießen zu wollen - oder sagen wir, verfolgen. Denn so ganz zu 100% identifizieren konnte ich mich nicht, auch wenn es auf keinen Fall abschreckend oder so war. Es Sind auch nicht alle in Trance verfallen oder ohnmächtig geworden (gut, eine. BUMM lag sie da. Dafür standen aber scheinbar Menschen in blauen Leibchen in jedem Gang... scheint doch öfter vorzukommen).


Zuerst mal muss man, um Missverständnissen vorzubeugen, sagen, dass ich bei einer KATHOLISCHEN Charismatikermesse war, und vielleicht deshalb alles nicht so extrem war wie mans aus dem Fernsehen oder von "Borat" kennt. Die Kirche, in der die Messe stattfand, war die erste richtig große Kirche die ich hier gesehen habe, und ich fand sie auch sehr hübsch. Nebendran ist eine Salesianerabtei und eine Schule. Und eine Missionarsschule, ja, denn die Gemeinde ist die Zentrale der Charismatischen Erneuerung Argentiniens. So waren die immerhin 350-400 Leute, die zur Messe waren, wohl noch wenig, da aber am Samstag eine große Wallfahrt mit zigtausend Charismatikern und dem Bischof stattfindet, leicht zu erklären. Auch Charismatiker müssen sich offenbar zweieinhalb Stunden Extase nicht jeden Tag geben. Auch mal ne Info. Gut, zur Sache.

Eine Charismatikermesse unterscheidet sich nicht sehr von einer ganz normalen Messe, denn der Messritus ist für alle Katholiken überall auf der Welt verbindlich - und da achtet der Vatikan sehr drauf, und auch für Charismatiker gibts da keine Ausnahmen. Was anders ist, ist die Gestaltung der einzelnen Elemente, und teilweise gibt es Erweiterungen. So werden alle Erst-Charismatiker aufgefordert, sich per Handhebung zu erkennen zu geben, so dass alle um ihn herum ihn knuddeln und willkommen heißen können. Oder das Kyrie ist viel weiter entfaltet: In einem sehr meditativen Teil knien sich alle hin, während das Erbamen Gottes erfleht wird für alle die da sind, mit ihren Sorgen, Nöten und Sünden. Wenn man sich die Funktion des Kyrie in der Messe klarmacht - nämlich das "Ankommen" in der Kirche, in der Gemeinde, bei Gott - und dann mit dem häufigen Abhaken in einer normalen Gemeindemesse vergleicht, macht das auch durchaus "Sinn". Die Messe war auch viel "organischer", in dem Sinne dass Gesang und Gebet oft ineinander übergingen oder identisch waren, nicht so wie in manchen Messe, dass einfach irgendwas gesungen wird, nein, hier wurde immer ganz klar auf den Text in den Liedern eingegangen, die oft auch Liedrufartig-Taizehaft kurz und einfach, dabei aber oft mit einem Karnevals-Volksmusikartigen Rhytmus unterlegt waren... strange. Zum Beispiel gab es einen Liedruf, ca. "alles ist möglich mit Christus, er ist meine Stärke" in dem Sinne - ihr wisst ja, ich und Texte merken.. naja. Nach einigen Durchgängen änderte der Priester dann den Text in "deine Stärke" und dann wurde sich gegenseitig "bestärkt", mit einer Umarmung, Schulterklopfen o.Ä. Generell gab es viel Bewegung, Klatschen, das typische Händeheben, aber auch sehr viel Berührung, viele haben sich umarmt, gesegnet, usw. Ein anderer Ritus, der mir sehr gefallen hat, war ein Segensgebet über die Kollekte, die jeder in seiner Faust hochhielt, während der Priester Gott um Früchte für das Opfer bat.
Denn ein Opfer war es wohl auch für viele, die dort waren. Auch wenn mein ungeübtes Auge Feria-Kleidung nicht von echter Markenware unterscheiden kann, schienen mir doch sehr viele ärmere und einfachere Leute in der Kirche zu sein, wie immer vor allem ältere Frauen, aber auch Cartoneros, junge Mütter und Frauen. Sehr viele hatten auch Fotos ihrer Kinder, Familien, sonstwem dabei und vor sich auf der Bank liegen. Sehr viele haben auch geweint. Generell schienen mir das Leute zu sein, die es im Leben nicht gerade leicht haben oder hatten. Für manche wäre aber auch sicherlich das Etikett "psychisch labil" angemessen. Auch nach der Messe blieben viele noch da, um zu beten, die Heiligenfiguren oder den Altar zu berühren, sich segnen zu lassen (z.B. von dem alten Mann dort auf dem Foto, der kein Wort sagte sondern die Leute einfach nur anstarrte. Ob der sich wohl für einen Wunderheiler hält..? Naja. Die lange Schlange der Wartenden ist leider nicht drauf), beichten oder sich gegenseitig in den Arm zu nehmen.

Und da stellt sich natürlich die Frage, was von der ganzen Veranstaltung zu halten ist. Ich glaube, das ist schon in Ordnung so. Ich finde es gut, dass auch so etwas in unserer Kirche seinen Platz hat. (Ein Platz der zweifellos - und da können wir sicher sein - vom Vatikan genau abgesteckt und genau im Auge behalten wird. Hier zeigt sich für mich die große Integrierende aber auch Korrigierende Kraft, die der Vatikan immernoch hat, aber das ist ein anderes Kapitel..) Mir haben auch einige Riten gut gefallen. Dass Neue begrüßt werden, ist sicherlich nicht in jeder Gemeinde sinnvoll umzusetzen, aber man sollte auf jeden Fall nach Wegen suchen Besuchern oder Nach-langer-Zeit-mal-wieder-in-der-Kirche-Seinenden mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch den Ritus der Kollektesegnung halte ich für eine sehr schöne Sache, die man z.B. hervorragend am Caritassonntag o.Ä. machen könnte, um dem "Opfer" - das es für viele hier auch wirklich ist - Aufmerksamkeit und Respekt zu zollen.
Ganz ehrlich habe ich aber einige Mal gedacht: Diese armen, sorgengebeugten, sicherlich oft ein bisschen durchgeknallten Vögel wollen die Kirche erneuern..? Ist das nicht eher gefährlich, wenn wir diese Irren auf die ganz normalen Leute loslassen? So kriegen wir doch keine neuen Leute in die Kirche, wenn wir ein Sammelbecken für Psychisch Kranke werden.
Aber dann fragte ich mich: Warum nicht? Ich mein, dafür ist die Kirche doch da, oder nicht? Für die Armen, für die Einsamen, für die Kranken, die Ausgestoßenen. Und die produziert unsere Gesellschaft heute in Legion, denn reicht nicht schon ein seltsamer Tick, ein Schielen, ja manchmal nicht schon einfach Fettleibigkeit aus, um "raus" zu sein? Außen vor? Wie könnten wir sie abweisen? Und diese Menschen sehnen sich nunmal nach Freude (Gloria al Senor! Immer wieder fast frenetischer Applaus), nach Nähe, nach Berührung und nach Halt - nach den Dingen die sie so wenig haben in ihrem Leben. Wer wären wir, ihnen das zu verwähren?

Ich werde zwar auch sicherlich der Charismatischen Erneuerung nicht gerecht, sie sämtlich als Emotionale Krüppel abzustempeln, aber mal ganz im Ernst: Hier gibt es viele Hochglanzprospekte von Evangelischen Kirchen mit Hübschen Leuten und Familienidyll - und übrigens alle immer Tiptop im Anzug: Nur in die Katholische Kirche geht man mehr oder wenige in Alltagsklamotten oder Sklipnot-Shirt! WIR sind hier die coolen und lässigen!! - Müssten wir nicht Prospekte mit genau diesen Menschen aus der Kirche vom "Sagrada Corazon de Jesus" machen? Denn nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Und ich nehme mich auch nicht aus den von denen, die von einer Kirche träumen, die auch eine Gemeinschaft der Starken und Gesunden ist, der Intelligenten und Lustigen - aber wie glaubwürdig ist eine Kirche, die das Evangelium Christi verkündigen will, aber sich der eigentlichen Adressaten schämt? Müssten sie nicht unser Stolz sein..?

3 Kommentare:

Home-Rade hat gesagt…

Ganz schön viel Philosophie für
einen frühen Montag Morgen!
Aber vieles was du sagst über die
Mitglieder einer Gemeinde sehe ich auch so.
Mum

Home-Rade hat gesagt…

Interessieren sich die Argentinier
eigentlich auch für die Präsidentenwahl in den USA?
... fiel mir mal so ein...
Mum

Benni hat gesagt…

Jaaaa die Wahl. Da muss ich noch was zu schreiben, stimmt.