Mittwoch, 10. September 2008

Exkurs: La guerra silenciosa - Bahnfahren in BA

Eine Woche bin ich jetzt jeden Tag zur Rushhour von hier nach BA reingefahren. Padua ist schon recht weit draußen, aber viele Tagelöhner und Arbeiter vom Land fahren noch sehr viel länger, deshalb ist der Zug auch schon nach allen verfügbaren Maßstäben „voll“ wenn er in Padua einfährt. Trotzdem stehen hunderte Menschen am Bahnsteig und wollen mit. Der Zug ist recht groß, 7-8 Wagons á ca. 72 Sitzplätze + 2-3 Fahrradabteile (d.h. alte Wagons, aus denen einfach alles rausgerissen wurde. Sehen von innen eher wie Viehtransporter aus - bestenfalls). Nach meiner Vorsichtigen Schätzung fahren in einem solchen Wagon gut 3000 Menschen (die Bahngesellschaft TBA sprach im Zusammenhang mit dem abgebrannten Zug vor ein paar Tagen von 1800, was - schätze ich mal – wohlwollend tiefgestapelt war, wenn ich mal vergleiche wie viele Menschen jeden Tag mit mir im selben Quadratmeter gestanden haben und das dann auf die Zugfläche hochrechne...
Mit diesen Menschen jeden Tag im Zug zu stehen hat mir glaube ich einiges verstehen gelehrt von der Situation, in der viele Menschen hier jeden Tag sind. Wenn an jeder Station aufs neue eine Speerspitze junger Männer einfach Anlauf nimmt und in die offene Abteiltür springt, um alle Menschen drinnen so weit wie möglich zu komprimieren um Platz zu schaffen für die am Bahnsteig wartenden, dann ist das kein freundliches anschubsen, das ist manchmal richtig brutal. In den Gesichtern der Menschen kann man dann vieles sehen: Da gibt es die, die versuchen es mit Humor zu nehmen (aber da frage ich mich immer, wie lange die schon dabei sind). Vielen jungen Frauen ist das Unbehagen über so viel beengte männliche Nähe von der Nasenspitze abzulesen. Da gibt es auch die, die grimmig zurückschubsen, aber es ist meist nur ein kurzes, lautloses Aufbäumen, denn alle wissen: Alle anderen müssen genauso zur Arbeit um ihre Familien durchzubringen, alle anderen sind genauso auf diesen verdammten Zug angewiesen sind – denn andere Möglichkeiten gibt es nicht. Natürlich gibt es die Collectivos, die Busse (die übrigens zum Großteil demselben Unternehmen gehören wie die Züge), aber das ist 1. teurer und 2. platztechnisch kaum besser, weil die Kapazitäten einfach viel kleiner sind. Und Autos können sich die meisten hier nicht leisten. Zumindest keins dass jeden Tag diese lange Strecke nach BA schaffen würde.
Sie stehen quasi im selben Zug. Die gesamte Prozedur vollzieht sich an jeder Station in völliger Lautlosigkeit. Ein lautloser Kampf. Aber es ist ein Kampf, in dem es keine Sieger gibt, und das wissen alle. Und so spiegelt sich in den meisten Gesichtern genau das: Resignation. Frustration. Das erzwungene Hinnehmen der Situation, in dem Wissen, dass jede Äußerung ihrer Frustration die falschen Treffen würde. Das Bahnpersonal, die Wachleute. Aber nicht das Unternehmen, dem der Staat für 10 Jahre die Infrastruktur zu einem Spottpreis zur Verfügung stellt – und das sich natürlich nicht mit übermäßigen Investitionen in eben diese hervortut. Das Unternehmen, für dass es einfach keinen Grund gibt, zusätzliche Züge auf die Gleise zu setzen um dieselbe Anzahl an Menschen zu befördern, die sich ja offensichtlich auch zu 3000 in Zügen für 1000 Menschen wohlfühlen. Und das nach dem gewalttätigen Ausdruck dieser Frustration in Form eines ausgebrannten Zuges (Thomas, der andere deutsche hier, war übrigens live auf dem Bahnsteig dabei) den Menschen im Fernsehen natürlich genussvoll vorrechnete, dass ja jetzt nur alle Züge noch voller würden, und die 5mio € Reparaturkosten verständlicherweise auf die Ticketpreise auf dieser Strecke aufgeschlagen werden müssten. Machtlosigkeit.
Diese Stimmung konnte ich jetzt eine Woche am eigenen Leib erfahren, aber ich glaube die Menschen hier erleben sie nicht nur auf dem Weg zur Arbeit, sondern alltäglich und mannigfaltig: Müll, Abwasser, Korruption, Inflation und Wirtschaftskrisen – Ihr ganzes leben lang. Das schmachvolle Versagen eines Staates und einer ganzen Politikerkaste, die dafür gewählt wurden und die geschworen haben, das Beste für ihr Volk zu tun. So besagte auch einer der Hauptslogans bei den großen Demonstrationen gegen das Versagen des Staates in der Wirtschaftskrise 2001 sinngemäß: „Schert euch alle zum Teufel“.

Gut, das denken wir in Deutschland auch manchmal. Ich zumindest. Dass bei uns wenigstens die wichtigsten Sachen einigermaßen funktionieren, verdanken wir...... ja was eigentlich?
Was sind die Waffen einer Gesellschaft - die im großen und ganzen in Argentinien genauso funktioniert wie in Deutschland – gegen unfähige und/oder heuchlerische Politiker, rücksichtslose Interessendurchsetzer und abhängige Medien – kurz: Gegen die Macht und die Mechanismen des Geldes, um das es sich allermeistens ja dreht?

Was denkt ihr?

2 Kommentare:

Home-Rade hat gesagt…

Hi Benni,

die Macht des Geldes ist überall die gleiche, sie hat nur unterschiedliche Gesichter und kommt bei uns wesentlich subtiler rüber (jedenfalls meistens).
Menschen zählen in der Welt des Geldes nichts, sie sind nur als zu melkende Kühe interessant. Wenn sie sich auflehnen, wird es noch gegen sie gewendet, wie das Beispiel von dem abgebrannten Zug zeigt.
Was wir tun können: den Menschen die Möglichkeit eröffnen diese Mechanismen zu erkennen und etwas dagegen zu tun: Bildung, Hilfe zur Selbsthilfe, Glauben. Jedenfalls dürfen wir sie vone einem nicht abhängig machen: von unserem Geld.

Außerdem: Du hast ja schöne Möglichkeiten zu arbeiten und ich wünsche Dir viel Freude dabei!

Liebe Grüße
Pa

Home-Rade hat gesagt…

Hi, ich habe nie behauptet das du
nichts tust! Aber die Arbeit mit den Jugendlichen in der Wohngemeinschaft wäre bestimt was
für dich. Bekommst du die Arbeit
bezahlt? Womit wir wieder beim Geld wären!
Mum